"Der Tod meines Vaters"

Chiana berichtet:

        Irgendwann im Juni 2003 kam mein älterer Bruder zu mir nach Hause, um mir mitzuteilen, dass unser Vater an Lungenkrebs sterben würde. Die Ärzte gaben ihm ein halbes Jahr, das hatte mein Vater aber nicht mehr. Er bekam eine Chemotherapie, die den Krebs aber zu beschleunigen schien. Ich muss dazu sagen, dass ich meinen Vater über 20 Jahre nicht gesehen und gesprochen hatte, weil sehr unschöne Dinge in meinem Leben passiert sind, die mit meinem Vater zu tun hatten...

        Am Abend des 15. Augustes 2003 bekam ich einen Anruf von seiner Sozialarbeiterin, die mir sagte, dass es mit meinem Vater zu Ende ging. Sie teilte mir mit, wo im Krankenhaus er liegen würde. Ich rief meinen jüngeren Bruder an und fragte ihn, ob er mit mir ins Krankenhaus kommen würde... Er holte mich um 17.30 Uhr ab. Und so gingen wir zusammen an das Sterbebett meines Vaters... Er sah schrecklich aus: abgemagert, keine Haare mehr auf dem Kopf, diesen Anblick werde ich in meinem restlichen Leben auch nicht mehr vergessen können... Er war noch bei Bewusstsein und hat mich auch noch erkannt, aber dann fing er an Blut zu spucken und zu weinen... Wir mussten das Zimmer verlassen, weil die Schwestern ihn absaugen mussten, danach gaben sie ihm ein Beruhigungsmittel und von dem Moment an fiel er in einen Dämmerzustand und war auch nicht mehr ansprechbar... Kurze Zeit danach wurde er in ein leeres Zimmer geschoben, damit wir mit ihm alleine sein konnten...

        Es war die schrecklichste Nacht meines Lebens. Ich hatte höllische Kopfschmerzen, rauchte Eine nach der Anderen und trank Tee, weil es keinen Kaffee gab... Er hatte teilweise Atmungsaussetzer von vielen Sekunden und das Röcheln war furchtbar anzuhören... So verging Stunde um Stunde in der ich seine warme Hand hielt, bis ich schließlich um 6.00 Uhr früh nach Hause ging, weil mir von den Kopfschmerzen so übel geworden ist... Zuhause angekommen, weinte ich mich in einen unruhigen Schlaf, bis mein älterer Bruder mich anrief, um mir zu sagen, dass unser Vater um 10.20 oder 10.40 Uhr (die Zeit weiß ich nicht mehr so genau) gestorben ist (sein Sterbedatum ist der 16.08.2003)... Irgendwie war ich froh, dass er es endlich überstanden hatte und doch tat es sehr weh, weil ich nicht bis zum Schluss bei ihm geblieben war... Mein Bruder meinte noch, er hätte ein Lächeln auf den Lippen gehabt und wollte wissen, ob ich noch mal ins Krankenhaus kommen würde, um ihn noch mal anzusehen, aber ich sagte ihm, dass ich nicht kommen würde...

        Am späten Nachmittag, um 16.15 Uhr, stand mein ältester Sohn (er hat ADHS) plötzlich stocksteif im Wohnzimmer (die Kinder hatten Fernseh geschaut), wurde käseweiß und fing an zu weinen. Ihm wäre auf einmal so schlecht... Er kam auf meinen Schoß und drückte mich so fest, dass mir fast die Luft wegblieb... Er ist sehr schmal und hatte auch nicht soviel Kraft, bis auf diesen Nachmittag... Das Ganze dauerte ein paar Sekunden und so schnell wie es begann, war es auch wieder vorbei... Ich bin auch noch heute davon überzeugt, dass mein Vater sich von mir durch meinen Sohn verabschiedet hat, bevor er durch den Tunnel nach Hause ging... Was mich so sicher macht? Mein Sohn hat sich nie wieder so verhalten und ging wieder auf Distanz, so wie er eben vorher war... Ich bin froh, dass ich bei meinem Vater gewesen bin, denn ich hätte mir das nie verziehen..."



 
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