Geist im Kölner Dom

Christian berichtet:

Es war im Sommer 1990, auf einem Schulausflug. Ich stand kurz vor dem Abitur und war in meiner Stufe dafür bekannt, etwas verschroben zu sein, weil ich Geschichten schrieb, während des Unterrichts viel zeichnete und vor allem als extrem introvertiert galt. Meine Freunde in der Oberstufe erlebten das genaue Gegenteil: bei ihnen konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen, Humor beweisen... und über meine Meinung sprechen, dass ich an Geister glaubte. In meiner Familie waren immer mal wieder Dinge geschehen, die sich niemand erklären konnte, so zum Beispiel war meine älteste Schwester fest davon überzeugt, meinen Cousin mitten in der Stadt gesehen zu haben, ein paar Tage, nachdem er im betrunkenen Zustand aus einem fahrenden Zug gestürzt und dabei gestorben war.

Der Schulausflug führte uns nach Köln, was natürlich bedeutete, auch dem Dom einen Besuch abzustatten. Ich hielt mich an einen guten Freund, nennen wir ihn Wolfgang, als wir das Kirchenschiff betraten. Zuerst taten wir das, was allen Dombesuchern blüht: das Erklimmen der Treppenstufen bis oben hinauf, um auf Köln hinab zuschauen; leider befiel mich meine Höhenangst, sodass ich auf halbem Wege umkehrte, zusammen mit Wolfgang, dem die Höhe und die engen Stufen ebenfalls nicht zu behagen schienen. Während wir auf die zwei, drei anderen Mitglieder unserer kleinen Gruppe warteten, machte Wolfgang ganz unvermittelt einen Vorschlag. Er wollte die Krypta des Doms aufsuchen und fragte mich, ob ich mitkommen wolle. Ich stimmte etwas verwirrt zu. Irgendwann stießen unsere Stufenkollegen von ihrer Stadtbesichtigung wieder zu uns; auch sie wurden gefragt, ob sie in die Krypta wollten. Einer von ihnen lehnte das rigoros ab, die anderen hatten einfach kein Interesse daran. Also machten wir uns zu zweit auf den Weg.

Ich erinnere mich an die Krypta als einen rechteckigen Raum, nach Betreten sah man auf einen Steinsarg, der auf einem Podest stand. Links und rechts standen drei oder vier Steinsäulen, an mehr kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Ich weiß aber noch sehr genau, wie gespannt Wolfgang auf mich wirkte: ihm gelang es nicht, sein Grinsen zu unterdrücken. - Nun ja, da standen wir nun, es war ein wenig kühl hier, auch ein wenig feucht, fast begann ich zu frieren. Ich sah mich in der Domgruft um, in diesem durch Lampen erleuchteten Raum mit den weißen Wänden, dem hellen Boden, und weil ich eigentlich mit der christlichen Religion nicht viel am Hut hatte, fand ich es relativ schnell langweilig. Bis ich aus dem rechten Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

Ich weiß nicht mehr, ob wir wirklich die einzigen Besucher der Krypta waren zu diesem Zeitpunkt, aber dass sich rechts von mir, bei den Säulen, niemand aufhielt, weiß ich noch. Trotzdem war da eine Bewegung gewesen, und als ich meinen Blick wieder auf den Steinsarg richtete, dauerte es auch nicht lange, bis diese Bewegung wieder da war. Ich sah ihn, aber da war niemand!

Wolfgang hatte natürlich gemerkt, dass ich wiederholt zu den rechten Säulen gesehen hatte und fragte, was los sei. Ich war zu verunsichert, meine Beobachtung auszuplaudern, sah mich um, ich glaube, wir waren wirklich alleine zu dieser Zeit. Aber ich wurde innerlich unruhig... was war das, was sich rechts von uns bewegte??

„Nichts, schon gut.“, sagte ich (wohl) zu Wolfgang und sah wieder nach vorne, heimlich darauf hoffend, der Wahrnehmung aus dem rechten Augenwinkel auf den Grund gehen zu können. Und es dauerte auch nicht lange, da war sie wieder. Ich zwang mich diesmal, nicht sofort hinzusehen, sondern meinem Augenwinkel die Arbeit zu überlassen. Es lohnte sich, auch wenn mir plötzlich das Herz bis zum Halse schlug. Zwischen den Säulen ging eine Gestalt hin und her, ja, sie machte Schritte. Sie schien eine weiße Kutte oder einen Mantel zu tragen, vielleicht auch nur einen Überwurf in dieser Farbe. Sie ging leicht gebeugt, ein Gesicht war nicht zu erkennen von der Seite.

Und wenn ich mich nicht ganz irre, war auf dem Rücken ihrer Bekleidung irgendetwas Rotes zu sehen, vielleicht ein Kreuz??

Ich konnte nicht anders: ich sah hin, was bedeutete, dass die Gestalt weg war. Wolfgang fragte mich diesmal drängender, warum ich immer in diese Richtung sähe, und dann kam es ziemlich trocken aus mir heraus: „Da ist jemand, der zwischen den Säulen hin und her geht.“

Viel weiter kam ich nicht, denn Wolfgang bestand darauf, sofort die Krypta zu verlassen. Ich weigerte mich erst, weil ich MEHR sehen wollte, irgendwie hatte ich gar keine Angst, sondern verspürte nur einen Kloß aus heißer Aufregung in meiner Kehle. Mir – oder uns – schien ja keine Gefahr zu drohen, die Gestalt blieb ja bei ihren Säulen und schien uns gar nicht wahrzunehmen! Aber Wolfgang drängte mich immer mehr, also gab ich nach. Ich war enttäuscht, ließ es mir aber nicht anmerken. Draußen sagte Wolfgang dann, er habe ein Experiment mit mir vorgehabt. Er wusste ja, dass ich an Geister glaubte; von irgendwoher hatte er die Information bekommen, dass es in der Krypta des Kölner Doms spuken soll. Er sagte, er habe in jenem Moment sofort an mich gedacht, denn wenn ich an Geister glaubte, würde ich den in der Krypta doch bestimmt wahrnehmen können...

Der Stufenkollege, der den Besuch der Domgruft rigoros verweigert hatte, sah mich etwas erschüttert an. Aber Wolfgangs Experiment war wohl geglückt.

Ich bin eigentlich kein leichtgläubiger Mensch, und ich habe auch versucht, mein Erlebnis immer wieder „wissenschaftlich“ zu hinterfragen, immer wieder, aber ich komme zu keinem abschließenden Ergebnis. So oft als Erklärung herbemühte Argumente wie „Projektion“ oder „Infraschall“ schließe ich aus. Weder waren Spiegel in der Gruft, an Fenster kann ich mich nicht erinnern, zumal die Gestalt mannshoch war und mit ihrer Bekleidung irgendwie auch in den kulturellen Kontext dieser Kirche passte.

Dieses Erlebnis ist und bleibt das greifbarste, das mich daran glauben lässt, dass es nach dem Tod nicht zu Ende ist, dass es Seelen gibt, die ihren „Weg ins Licht“, was immer das sein soll, nicht finden, und dass ich für gewisse paranormale Schwingungen empfänglich zu sein scheine. Manchmal macht mir das Angst, aber damit muss ich wohl leben.


 
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